Die Vereinigten Arabischen Emirate sind gewissermaßen eine Drei-Klassen-Gesellschaft. Dieser Fakt ist wohl unbestreitbar, da im Alltag augenfällig. Nur ca. fünfzehn Prozent aller Einwohner des Landes sind tatsächlich Emiratis: die "first class" - und warum auch nicht, immerhin ist es ja ihr Land. Auch "zweiter Klasse" - als Expat aus westlichen Industrieländern kommend und hier dank Ausbildung und Fachwissen in hochqualifizierten Jobs beschäftigt - kann man mehr als nur kommod leben.
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Bauarbeiter in Abu Dhabi |
Doch wie verhält es sich mit den vielen Arbeitern, welche die "richtige" (oft auch Drecks-) Arbeit machen, auf welcher der Wohlstand des Landes u.a. fußt? Wie geht es den zahllosen Pakistanis, Indern, Bangladeshis, Nepalesen, vielen Philippinos, Sri Lankern oder Jemeniten, welche auf den Baustellen, in Industriebetrieben und Agrarwirtschaft, in Werkstätten und Tankstellen, mit Taxifahren, bei der Abfallbeseitigung oder als Grünflächenwarte ihren Lohn verdienen? Menschen des "dritten Standes"?
Aus dem Emirat Katar (
das mit den VAE wirklich nichts zu tun hat!) gab es im Vorfeld der Fußball-WM 2022 mit ihren Mammut-Bauprojekten in der europäischen Presse viele Berichte über moderne Sklaverei und Tote auf dem Bau aufgrund katastrophaler Arbeitsbedingungen, z.B. Hitze.
Ich habe keinerlei Einblick in die Geschehnisse dieses Landes, daher kann ich dazu nicht Stellung beziehen. Richtig ist allerdings, dass nicht "alle Golfstaaten doch irgendwie gleich sind". Es gibt da auf den unterschiedlichsten Ebenen teils gravierende Differenzen! Deshalb möchte ich mich im heutigen Beitrag auch "nur" mit den Arbeitsbedingungen beschäftigen, unter denen in den VAE malocht wird.
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Arbeiter der Müllabfuhr in einem Wohngebiet: Im Sommer immenser Hitze ausgesetzt |
Ganz klar: Wenn ich hier im Hochsommer unter sengender Sonne Südasiaten im Blaumann auf Baugerüsten oder bei der Straßenreinigung sehe, dann denke ich automatisch: "Mann, die armen Kerle, wie halten die das nur aus?"
Natürlich ist diese Arbeit hart; das ist sie auch in anderen Weltgegenden. Zuerst einmal: In den VAE sorgt das Arbeitsministerium (
United Arab Emirates Ministry Of Labour) dafür, dass ganz klare Standards eingehalten werden, was beispielsweise Arbeits- und Pausenzeiten, Überstunden, Urlaubstage und Arbeitsverträge angeht.
Arbeitsministerium geht Verstößen nach und regelt auch Pausenzeiten
Wer - angenommen - von seinem Arbeitgeber zu spät oder gar zu wenig Lohn erhalten haben sollte, kann auf dieser Homepage seine Beschwerde gleich online einreichen; da Smartphones in den Emiraten flächendeckend verbreitet und auch bei den Arbeitern gebräuchlich sind, technisch demnach keine schwierige Aufgabe.
Arbeiter also, welche beispielsweise mehr Stunden zu arbeiten angewiesen wurden, als gesetzlich vorgesehen sind, haben gute Aussichten, dass ihrem Einspruch nachgegangen und der Arbeitgeber zur Ordnung gerufen wird (so etwas kann im Extremfall auch zur Entziehung seiner Lizenz führen).
Um gerade jenen Arbeitern, die sommers unter extremen Bedingungen draußen arbeiten müssen, gesundheitliche Sicherheit zu gewährleisten, wurde im Emirat Abu Dhabi die verlängerte Sommer-Mittagspause verpflichtend eingeführt: Zwischen dem 15. Juni und dem 15. September dürfen sie von 12.30 Uhr bis 15.00 Uhr nicht arbeiten; die Arbeitgeber müssen währenddessen Schatten gewährleisten (i.d.R. werden die Arbeiter per Bus in ihre Unterbringungen gefahren).
Daher verschieben sich im Sommer die üblichen Schichten, denn die gesetzliche Arbeitszeit von täglich 8 Stunden darf dennoch nicht überschritten werden. Projektleiter, welche diese spezielle Pausenregelung zu umgehen versuchen, werden mit 15 000 Dhs pro Arbeiter zur Kasse gebeten - bei den Großbaustellen, welche oft viele hunderte Arbeiter beschäftigen sowie gar mehrtägigem Verstoß nicht gerade etwas, was Arbeitgeber gern riskieren wollen!
Um die Einhaltung solcher Vorschriften abzusichern, besucht eine Kommission des Arbeitsministeriums die Baustellen unangekündigt. Im Jahre 2014 wurden 50.000 Baustellen kontrolliert, von denen 109 gegen die Regularien verstoßen hatten und
vor Gericht kamen.
In regelmäßigen Sicherheitsschulungen werden die Arbeiter nicht nur immer wieder auf solche Dinge wie die Notwendigkeit des Tragens von Sicherheitsschuhen und Helmen hingewiesen, sondern im Sommer auch über Hitzschlag und seine Vermeidung aufgeklärt (man muss bedenken, dass ein Teil der Betreffenden aus Ländern kommt, wo Schul- oder auch Allgemeinbildung nicht unbedingt so selbstverständlich wie für uns sind!) Der Gebrauch dieser Sicherheitsvorkehrungen wird permanent überwacht. Natürlich müssen die Arbeitgeber auch permanent Trinkwasser zur Verfügung stellen.
Arbeitercamps
Was mich zur Wohnsituation führt. Arbeiter leben in den VAE in Arbeitercamps - also nicht unbedingt das, was wir uns unter "schöner Wohnen" vorstellen: Hunderte Männer aus den vornehmlich beteiligten Nationen auf einem Gelände, das neben den Wohnräumen eine Kantine, einen medizinisichen Versorgungsstützpunkt, Moschee und oft ein Sportfeld umfasst. Die erste Assoziation ist sicher das Wort "Ghettoisierung" und "Massenunterkunft". Ja, geht mir auch so.
Was man auf der anderen Seite jedoch auch nicht ganz vergessen darf: Die Arbeiter kommen i.d.R. aus sehr traditionellen, patriarchalischen Gesellschaften, wo das Leben von Männern und Frauen eher parallel denn gemeinschaftlich abläuft.
Ich erinnere mich, dass einmal ein Arbeitercamp erbaut werden sollte - der zuständige Projektleiter befragte seine Arbeiter zuvor, ob sie lieber kleine Wohneinheiten für, sagen wir, vier Mann haben wollten. Oder aber eine Unterbringung mit zwölf oder mehr zusammen.
Wofür haben sich die Arbeiter entschieden? Richtig: Ihnen gefiel die "Massenunterkunft" besser als dieses in ihren Augen isolierte Wohnen mit nur wenigen Zimmergenossen. Südasiaten finden kaum etwas schlimmer, als "allein" zu sein! Man sollte also auch hier nicht automatisch bei der Bewertung von sich auf andere schließen...
Um ihrer Leistung angemessene Arbeits- und Lebensbedingungen zu befördern, wurde dieses Jahr in Dubai der
"Taqdeer Award" ("Wertschätzung") ins Leben gerufen - ein Preis, welcher mittels Punktesystem unter den beteiligten Firmen bewertet, welche Bedingungen die einzelnen ihren Beschäftigten offerieren. Darunter zählen die Arbeitsbedingungen als solche, aber auch Sicherheits- und Gesundheitsvorsorge, Kommunikationswege und Transparenz innerhalb der Firma, Löhne und Umfeld.
Eine Frage der Perspektive
Die Arbeitslöhne für Arbeiter in den VAE mögen uns gering erscheinen. Dabei sollte man jedoch nicht vergessen, dass Kost und Unterbringung sowie medizinische Versorgung, Arbeitskleidung und Heimflüge (für Arbeiter aller zwei Jahre) komplett vom Arbeitgeber übernommen werden. Der gesamte Monatslohn, zumeist etwa 200 EUR, wird fast immer in das jeweilige Herkunftsland transferiert und reicht dort dann nicht nur aus, um die eigene (Groß-) Familie zu ernähren und für die Zeit nach dem VAE-Einsatz etwas anzusparen (eigenes Haus bauen, eigenes kleines Unternehmen gründen), sondern oft darüber hinaus auch noch für "halbe Dörfer" mit! Jährlich schicken in den VAE beschäftigte
Arbeiter rd. 27 Milliarden US-Dollar (2014) in ihre Heimatländer und unterstützen damit deren Ökonomie. Die Hälfte dieser Summe allein geht nach Indien.
Zudem haben manche der Arbeiter in den Emiraten erstmals ständigen Zugang zu sauberem Trinkwasser, drei Mahlzeiten am Tag, Duschen und Toiletten, Aircondition und nicht zuletzt medinzischer Versorgung - mancher wird in den VAE
zum ersten Mal im Leben von einem ausgebildeten Mediziner behandelt.
Auch wenn uns die Arbeits- und Lebensbedingungen des "dritten Stands" in den VAE nicht luxuriös vorkommen: Wer einmal z.B. einen indischen Slum gesehen hat und auch, unter welchen Bedingungen Menschen dort arbeiten und leben müssen, wird verstehen, dass es den Gastarbeitern hier teilweise immer noch viele Male besser geht als in ihrer Heimat.
Dass neben dem leiblichen Wohl auch das geistige nicht völlig zurückbleibt, wird zumindest angestrebt. So gibt es Kampagnen, um über gesundheitliche Gefahren aufzuklären (z.B.
Bluthochdruck). Kürzlich wurde dazu aufgerufen, den
Film "He named me Malala" über die pakistanische, bislang jüngste Friedens-Nobel-Preisträgerin
Malala Yousafzai in möglichst vielen Arbeitercamps in den VAE zu zeigen, um den Männern dort das Thema Recht auf Mädchenbildung und Selbstbestimmung nahezubringen.
Gerade erst las ich in der Zeitung, dass im Industriestadteil Al Quoz in Dubai ein Arbeitercamp für gut fünftausend Bewohner kräftig grünt und blüht: Vor fünfzehn Jahren hatte einst einer von ihnen damit begonnen, Pflanzen zwischen den Wohngebäuden zu pflegen. Inzwischen beteiligen sich viele; es wird gesät, gegossen und gejätet - das grüne Camp samt Schildkröte, Kois, Meerschwein und Papageien ist für die dort Lebenden zu einer kleinen Oase geworden.
Diese Menschen, welche oft von weither kommen, um in den Emiraten die Arbeit zu machen, welche das Land blühen lässt (nicht nur metaphorisch), verdienen Respekt. Aber auch die, welche zunehmend dafür sorgen, dass sie das in Sicherheit und Würde können.
Diese Welt ist nicht gerecht, nirgends. Auch in den VAE springt es ins Auge. Mit vielen kleinen Schritten wird versucht, dies zumindest ein bisschen auszugleichen.