Es gibt die Goldmarie und die Pechmarie. Zumindest in Grimms Märchen.
Und dann gibt es noch die SandMarie. Die sitzt manchmal auf einer emiratischen Düne und lässt den Sand durch ihre Finger rinnen. So wie die Sandkörner herab, fließen dann gelegentlich Buchstaben durch ihren Sinn, welche sich zu Worten und Sätzen fügen: Über das Leben allgemein, das Leben als Expat in den Emiraten, über Menschen, Bücher (z.B. mein eigenes, s.o.), Erlebnisse....

Montag, 22. Mai 2017

Ehe und Familie in den VAE

Wenn Ende dieser Woche der RAMADAN 2017 beginnt, ist das auch wieder für viele Emiraties eine ganz besonders hoch geschätzte Familienzeit.

Familie, Ehe, Frauenrechte. Ein häufig aufkommendes Thema nicht nur, wenn es um die Golfstaaten geht. Bedauerlicherweise - und das geht mir bei weitem nicht allein so! - sind ausgerechnet in den Vereinigten Arabischen Emiraten "Innenansichten" von einheimischen Familien für die Expats selten zu gewinnen.
Das liegt aber gewiss nicht daran, dass wir "Landesfremden" daran kein Interesse hätten oder aber die Einheimischen am liebsten nur unter sich bleiben. Nein, aufgrund der Bevölkerungszusammensetzung ist es groteskerweise gar nicht besonders leicht, in den Emiraten tatsächlich mit Emiraties persönlich enger in Kontakt zu kommen! Denn da sie ja nur ca. 15% der Gesamtbevölkerung ausmachen und somit eine Minderheit im eigenen Heimatland darstellen, ist das allein schon statistisch eher unwahrscheinlich. Vieles, was ich weiter unten beschreibe, ist also entweder recherchiert oder aber purer Augenschein.


Emiratischer Papa beim Kinderwagenschieben

Über unterschiedliche arabische (Familien-)Kulturen


Ich habe oft den Eindruck, vieles, was in westlichen Köpfen über das Thema "Ehe, Liebe, Frauen in der islamischen Welt" existiert, ist sehr stark geprägt von Vorlagen á la "Nicht ohne meine Tochter" und Medienberichten über kleine jemenitische Mädchen aus ärmstem Hause, welche an hässliche alte Männer zur Ehe "verkauft" werden, oder aber inhumane Exzesse von ISIS-"Kämpfern" etc.

Ich will keinesfalls in Abrede stellen, dass es Ungleichstellung der Frau und auch sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen leider auch in der islamischen Welt gibt - das Thema ist unbestritten ein ernstes. Wobei: Sind diese Probleme in der westlichen Welt eigentlich dermaßen komplett gelöst, dass man leicht auf andere missbilligend herabsehen kann? Wozu gibt es dann in Europa "Frauenhäuser", wohin misshandelte Frauen vor ihren Männern flüchten können?

Ich kann hier auch keine tiefschürfende Sozialstudie mit mehreren zehntausend Befragten zum Thema liefern, natürlich nicht, auch schaue ich nicht unter arabische Bettdecken und auch nur selten in ihr Familienleben hinein. Diese Erklärungen glaube ich, vorab geben zu müssen.


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Ich will es einmal anhand von Beispielen aus dem wahhabitisch geprägten Nachbarland der VAE versuchen, aus Saudi-Arabien. Viele saudische Männer - denen wir früher begegnet sind, als wir vor ca. 20 Jahren noch in Saudi-Arabien lebten - halten es selbst für skandalös, dass ihre Frauen und Töchter im Lande z.B. nicht Autofahren dürfen. Darum tun sie es dann gern heimlich, wo keiner zuguckt, in der Wüste oder aber im Ausland. Doch die enggeflochtenen sozialen Strukuren machen es schwer, solche Gedanken in ihrem Alltag eben auch umzusetzen.
Die neuerlichen zarten Lockerungen mancher Beschwernisse im Alltag für saudische Frauen mögen den Weg ebnen. King Salmans hat im Mai 2017 erstmals ein Dekret erlassen, das es künftig saudischen Frauen ermöglichen soll, ohne Einverständnis eines männlichen Familienmitglieds beruflich arbeiten, Sozialleistungen nutzen und Krankenhäuser sowie Universitäten besuchen zu können. Selbst Auto zu fahren rückt damit in Sichtweite.

Libyen war vor 2011, als wir dort wohnten, ein gemäßigt-konservativer Staat. Gaddafis Rolle der Frau war in seinem "Grünen Buch" klar definiert und im Vergleich zu anderen islamischen Gesellschaften recht liberal. Frauen gingen mit Kopftuch aus dem Haus, spielten im täglichen Leben zwar keine herausragende Rolle, waren aber schon durch Schulpflicht usw. eingebunden und übten teils auch anspruchsvolle Berufe aus, wenn auch nicht mehrheitlich.

In den Vereinigten Arabischen Emiraten laufen solche Dinge schon lange ganz anders ab; wir würden sagen: westlicher, freier, liberaler. Frauen "dürfen" sich durchaus bilden und auch einen Beruf ausüben; natürlich fahren emiratische Frauen selbst Auto und natürlich können sie auch allein reisen.


Emiratische Mütter sieht man zumeist in der Gruppe unterwegs

Heiratsalter, Familienleben, Stillgesetz


Das gesetzliche Mindestalter für Eheschließungen in den VAE beträgt 18 Jahre; das gegenwärtig durchschnittliche Heiratsalter liegt in den Emiraten für Frauen bei 25,9 Jahren und 26,5 bei Männern (im Jahre 2010). Zum Vergleich: In Deutschland liegt gegenwärtig (2012) das Heiratsalter bei Frauen bei 29,9 und bei Männern bei 32,2 Jahren. In Deutschland ist Heirat gesetzlich momentan noch ab 16 Jahren erlaubt, aber dies wird bald auf 18 angehoben.
Die meisten Emiratis halten 21 Jahre für die Schwelle zum "echten" Erwachsensein - aus Gründen der Ausbildung und Reife. Und selbst dann wird von den Eltern erwartet, dass die jungen Eheleute ihre Berufsausbildung oder das Studium beenden.

Viele islamische Familien "funktionieren" durchaus noch traditonell, d.h. Männer wirken mehr im "Draußen" und Frauen eher im "Innen", auch leben mehr Familienmitglieder gemeinsam. Obwohl Ehepaare daher vermutlich weniger Zeit gemeinsam (allein) miteinander verbringen, als in der westlichen Gesellschaft, versauert wohl keiner der Partner einsam in getrennten Zimmern vorm TV, denn die eigenen Eltern, Geschwister, Cousinen, Tanten und Kinder des eigenen Geschlechts sorgen für Geselligkeit.

Diesen Punkt darf man auch bei der Kindererziehung nicht vernachlässigen: In traditionellen Gesellschaften ist ein Baby oder Kind nicht einzig und allein "Muttersache", sondern zahlreiche Verwandte stehen ständig in Bereitschaft! Mit dem Trend zur "Verwestlichung" auch in arabischen Sozialmilieus und einhergehender Verkleinerung der regelmäßig zusammenlebenden Familie sinkt quasi parallel auch die Anzahl der Kinder pro (Klein-) Familie; eine Entwicklung, die weltweit beobachtet wird.


Auch im Alltag scheinen kleine Kinder hier nicht zwingend an der Mama zu kleben. Einerseits sind in emiratischen Familien Hausangestellte inklusive Kinderfrauen normaler Standard (mit allen positiven und auch negativen Auswirkungen).
Übrigens haben die VAE als einziges Land der Welt ein "Stillgebotsgesetz"! Seit vergangenem Jahr sind alle emiratischen Mütter dazu aufgefordert, ihr Kind zwei Jahre lang zu stillen, sofern ihnen das medizinisch möglich ist. Über die Durchsetzung des Gesetzes wurde allerdings nicht verlautbart. Ich könnte mir vorstellen, es ist vor allem ein geschickter Schachzug, um einheimische Mütter dazu zu bringen, überhaupt wieder Zeit mit ihren Kleinkindern zu verbringen, die man oft eher nur an der Hand der Nanny sieht ...






















Doch auch die Väter spielen eine aktive Rolle. 
Ich nenne sie immer die "Emirati-Papis". Oft kommt es mir in diversen Shopping Malls oder anderen öffentlichen Orten so vor, als sähe ich immer nur die emiratische Papas allein den Kinderwagen schiebend einkaufen oder stundenlang Kleinkinder auf dem Arm herumtragen. Die Mütter hingegen - leicht erkennbar an der schwarzen Abahya - erlebe ich niemals allein mit Säugling oder Kleinkind unterwegs; immer ist zumindest eine Kinderfrau dabei oder auch ganze Frauentrupps (Schwestern, Cousinen, Tanten, Freundinnen,....), welche abwechselnd das Kind betreuen.































Besonders geduldige Spezies: Der "Emirati-Papa"


In unserem Compound befindet sich genau gegenüber des 'Ladies Gym', in welchem ausschließlich Frauen ihre Fitness trainieren, eine Kinderkrippe. (Es gibt auch noch ein 'Male Gym', das aber ebenso von Frauen besucht wird - eigentlich eine Benachteiligung der Männer, oder?) Wenn ich dort frühmorgens auf Ergometer oder Laufband zugange bin, kann ich die Ankömmlinge beobachten: Expat-Mütter oder auch deren Kinderfrauen aus dem Compound, welche die 0 - 3jährigen in der Einrichtung abgeben. Aber auch viele Emiraties, die zumeist mit dem Auto von außerhalb kommen. Unter letzteren dominieren eindeutig die Väter; einer kommt stets in der Uniform der Emiratischen Streitkräfte. Ob er dort flexible Arbeitszeiten hat? Jedenfalls dauert das Abgeben seines kleinen Sohns, der morgens oft keine Lust auf Krippe hat, doch ziemlich lange ...

Besonders gern sehe ich immer einem Emirati-Papi zu, der seine beiden Töchterchen mit dem Auto bringt. Erst geht die Fahrertür auf, der Vater im eleganten weißen Langhemd steigt aus, geht gemessenen Schritts um den Wagen herum und hebt hinten Tochter 1 (ca. 3 Jahre) heraus. Er stellt sie vorsichtig auf den Boden, zupft das hübsche Kleid zurecht und kauert sich dann hinunter, um mit ihr  irgendetwas Winziges auf dem Gehsteig zu betrachten. Doch da scheint es Protest aus dem Autofont zu geben - der Vater schreitet also zur anderen Tür und hebt Tochter 2 (ca. 1 1/2) heraus.
Während er sie ebenfalls auf den Gehweg stellt, ist Tochter 1 offensichtlich eingefallen, dass sie ihre Tasche vergessen hat. Während sie ungeduldig herumhüpft, holt ihr Vater den Marienkäferucksack und setzt ihn ihr auf.

Tochter 2 rennt mit breiten Wackelschritten weg und wird mehrfach nach einem spielerischen "Wettlauf" vom Papa eingefangen und durch die Luft geschwenkt - um kreischend gleich wieder loszurennen. Bis sie hinfällt und auf Papas Arm dringend getröstet werden muss. Dies wiederum scheint die ältere Schwester mit Eifersucht zu beobachten. Sie zieht also so lange dringlich an der weißen Dischdascha ihres Vaters herum, bis er ihr ein Trinkpäckchen aus dem Auto holt.  

Inzwischen sind locker 10 Minuten vergangen. Bis der Vater kinderlos aus der Krippentür erscheint, wieder in seinen Wagen steigt und vermutlich ins Büro fährt, dauert es dann noch eine ganze Weile. Seine liebevolle Geduld und Gelassenheit bestrickt mich jedes Mal erneut, wenn ich das Trio sehe. Wobei diese drei für unzählige einheimische Kleinkindväter stehen, die ich hier oft in ihrer offensichtlich unerschütterlichen Freundlichkeit und Geruhsamkeit im Umgang mit ihrem Nachwuchs erlebte. Dann erinnere ich mich immer reflexhaft auch an den hektischen "Nun hör aber auf!- Ich muss jetzt zur Arbeit!"-Tumult westlicher Eltern in der Früh in deutschen Kindergärten.

Kein Wunder, dass die Emiaties in der Welt für viele Rekorde bekannt sind, aber nicht für den in Sachen Pünktlichkeit am Morgen. Ist ja klar, wenn die Familie, insbesondere die lieben Kleinen, einen so beschäftigt halten ...




Familienfreundlichkeit made in VAE: kleine Kindertoilette neben der üblichen in einer Mall